Der gute Ergard
Ein modernes Märchen
Ein alleinstehender Mann mittleren Alters hieß Ergard. Er bewohnte ein geerbtes Häuschen und liebte es. Es hatte rotgrün gestrichene Fensterläden und auf dem Dach hatte es eine kleine Terrasse, von der er häufig die Sonnenauf– und Untergänge verfolgte. Ohne Mietkosten reichte die schmale Rente bei seiner einfachen Lebensführung gerade hin. Bald sollte sich jedoch Ungeahntes ereignen.

Es läutete an der Haustüre. Ein junges Flüchtlingspaar, Husain und Aischa, bat um Hilfe: Husain, von der Polizei gesucht, stand kurz vor dem Gesellenbrief zum Koch. Dennoch drohte ihm die Abschiebung. Und Aischa war hoch schwanger; beide hatten sich einander versprochen. Ergard nahm sie zu sich in den Hobbykeller, wo sich ein ausklappbares Bett befand. Dort sollten sie sicher sein. Für ihn reichte die Nahrung, doch wie sollte er für alle drei aufkommen?

Im Traum verirrte sich Ergard im Wald. Es war ihm ganz unheimlich zumute, doch in der Ferne sah er eine Lichtung schimmern. Und so nahm er all seinen Mut zusammen und ging in das grünliche Halbdunkel. Dort traf er zu seiner Überraschung auf eine Alte, die er anflehte:

„Bitte, geleite mich aus Wald und Not!“ „Du wirst aus jeder Bedrängnis finden! All deine Güte wird dir vergolten.“

Und tatsächlich löste sich der Knoten seiner Sorgen: Erst fand er im Traum aus dem Wald, später sollte es ihnen allen besser gehen.

An der Autobushaltestelle fand Ergard einen Koffer, angefüllt mit Gold-, Silber- und Diamantenschmuck. Ein zerstreuter Juwelier hatte ihn dort vergessen. Da Ergard ein ehrlicher Mensch war, brachte er den schweren Koffer zum nächsten Fundbüro. Dort wartete bereits der rechtmäßige Eigentümer auf ihn. Dieser war außer sich vor Freude, das Verlorene je zurückzuerhalten und belohnte Ergard mit dem vierten Teil des gesamten Schatzes. Nun konnte Ergard sich und seine Gäste gut ernähren.

Wenig später brachte Aischa ein gesundes Mädchen zur Welt. Da das junge Paar und das Baby, das sie Aygün nannten, nicht auf Dauer bei Ergard wohnen bleiben konnten, bemühte er sich um eine andere Lösung. Er fand sie in einem Heim für Obdachlose, das von einem Kloster gefü,hrt wurde. Hier konnten sie eine Zeit bis zur Klärung ihres weiteren Schicksals bleiben.

So wusste Ergard sie in guten Händen und im Bewusstsein, Gutes getan zu haben, lebte er weiter zufrieden bis an sein Ende.

10. 10. 2017 - 14. 5. 2018